S_Biographien

Rufname: Aenne

14.07.1900 in Gescher - 26.10.1942 im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz

Religionszu­gehörigkeit: jüdisch
Eltern: Julia Stein, geb. Stein (25.05.1864 - 1929 oder 1930) und Samuel Stein (02.03.1851 - 28.02.1929)
Geschwister: Alfred Philipp Stein (geb. 25.11.1885)
Julius Stein (geb. 29.12.1887)
Clara Duveen, geb. Stein (13.06.1890-1944)
Johanna Vera Förster, geb. Stein (geb. 19.05.1882)
Antonette Frank, geb. Stein (05.09.1884 - 28.05.1943 in Sobibor)
Friedrich Stein (09.06.1897-1900)
Georg Stein (03.12.1902 - 02. oder 03.08.1942 in Auschwitz)
Schwägerin: Amalie Stein, geb. Stamm
Ehemann: Aron Schaap, Viehhändler (14.04.1886 in Lathen - 26.10.1942 in Auschwitz)
Kinder: Joachim Isaak Schaap (28.07.1926 - 31.03.1944)
Leonie Julia Antoinette Schaap (26.04.1928 in Lathen - 26.10.1942 in Auschwitz)

 

Wohnorte: Gescher, Armlandstr. 1
03.12.1919 Detmold, Moltkestr. 28 bei Jacobsberg
07.06.1920 nach Gescher abgemeldet
Lathen, Bahnhofstr. 4
Rolde (NL), Asserstraat 1 auch 43

 

Anna (Aenne) Stein stammte aus einer großen Familie aus Gescher, die dort als eine der gut situierten und wohlhabenden jüdischen Familien galt und einen Immobilienhandel betrieb. Ihr Bruder Julius führte ein renommiertes Textilgeschäft. Aenne Stein war, wie ihre spätere Schwägerin Amalie Stein auch, in Detmold für ein halbes Jahr als "Pensionärin" gemeldet, da sie im Pensionat von Thirza Jacobsberg in der Moltkestraße 28 lebte. In derlei Pensionaten sollten jungen Frauen gesellschaftliche Umgangsformen und hauswirtschaftliche Fertigkeiten vermittelt werden. Die in vielen Orten ansässigen Institute versprachen eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Ausbildung, die ein kulturelles Leben ebenso mit einschloss wie Unterweisungen in Haushaltsführung. Ein weiteres Pensionat gab es in Detmold in der Emilienstraße 12, geleitet von Emilie Michaelis-Jena.1

1925 heiratete Aenne Stein den Viehhändler Aron Schaap, dessen Familie ursprünglich aus den Niederlanden stammte, und lebte mit ihm und ihren beiden gemeinsamen Kindern Leonie und Joachim in Lathen. Aron Schaap wurde nach den Ausschreitungen des Novemberpogroms, bei denen die Lathener Synagoge ungeachtet der dort sich gerade befindenden Menschen in Brand gesetzt wurde, in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert.

Am 22. November 1939 flohen Anna und Aron Schaap mit ihren Kindern in die Niederlande und lebten dort - wie Arons Bruder Bendix und dessen Familie auch - in Rolde.
Drei Jahre später wurden sie festgenommen und kamen Anfang Oktober 1942 im Durchgangslager Westerbork in Haft. Von dort wurde Anna Schaap mit ihrem Mann, ihren beiden Kindern und auch der Familie ihres Schwagers Bendix nach drei Wochen, am 23. Oktober 1942, nach Auschwitz deportiert. Anna, Aron und Leonie Schaap wurden am 26. Oktober 1942 umgehend nach ihrer Ankunft und der Selektion ermordet. Von den 988 Menschen dieses Transports wurden 935 sofort getötet. 53 wurden noch zur Arbeit ausgesondert.

Anna und Aron Schaaps Sohn Joachim gehörte zu den Arbeitsfähigen und wurde noch in das Lager eingewiesen. Er starb am 31. März 1944. Joachim Schaap wurde für tot erklärt.

 

Auch Bendix Schaap, seine Frau Emilie und deren drei Kinder wurden umgehend nach ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet. Alfred Stein, Aennes ältester Bruder, wurde im Dezember 1941 nach Riga deportiert, ebenso Julius Stein mit seiner Familie. Ihre Schwester Johanna Vera, verh. Förster wurde von Berlin nach Auschwitz deportiert. Antoinette Frank, geb. Stein wurde am 28. Mai 1943 in Sobibor ermordet. Georg Stein, Aennes jüngster Bruder, hatte sich ebenfalls mit seiner Familie in die Niederlande retten wollen. Er wurde am 3. August 1942 in Auschwitz ermordet. Seine Frau und seine Tochter überlebten.

 

1 Bis 1905 führte Emma Leeser ebenfalls ein Pensionat in Detmold, verzog dann aber nach Köln.

   

QUELLEN: StdA DT MK; StdA Gescher; Kreisarchiv Emsland; Gedenkstätte und Museum Auschwitz; Herinneringscentrum Kamp Westerbork; https://www.joodsmonument.nl/en/page/128334/anna-schaap-stein; Yad Vashem; Arolsen Archives

 

LITERATUR: Wissen (1989), Wiemold (2015)

 

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DOKUMENTE

 

Dokument 1

Meldekarte für Aenne Stein in Detmold (StdA DT MK

21.10.1874 in Detmold - 17.10.1944 im Konzentrationslager Ravensbrück

Religionszu­gehörigkeit: evangelisch
Eltern: Wilhelmine Gruner, geb. Siebrecht (geb. 20.06.1832 in Kassel) und
Robert Gruner (30.01.1830 in [Georgienstadt] - 12.12.1911 in Detmold)
Geschwister: Auguste Gruner (geb. 15.09.1860 in Detmold)
Robert Gruner (geb. 30.11.1866)
Leopold Gruner (geb. 09.03.1871 in Detmold)
Otto Gruner (geb. 20. auch: 22.08.1880 in Detmold)
Friedrich Gruner (o. D.)
Marie Gruner (o. D.)
Bernhard Gruner (o. D.)
Otto Gruner (o. D.)
Ehemann: John (auch: Johann) Schuhmacher (24.06.1876 in Wien - 22.03.1944 in Theresienstadt), Bankgesellschafter
Beruf: Hausfrau

 

Wohnorte: Detmold, Meierstr. 7
23.12.1902 abgemeldet nach Budapest
Wien, Währinger Str. 2
28.01.1903 Prag
15.09.1918 Wien 2, Untere Augartenstr. 34/9
19.04.1920 Prag, Balbínova 7
29.08.1920 nach Wien abgemeldet
[14.]10.1920 nach Wien abgemeldet
17.05.1921 Prag III, Plaská 9
21.12.1933 Wien 2, Untere Augartenstr. 34/9
09.09.1938 Prag I, Národní 13 Pension Národní kavárny [Pension Nationalcafé]
auch:
Prag I, Viktoriastr. 339
Prag I, Viktoriastr. 11, Pension Nationalkaffee

Vermerk auf der Prager Meldekarte für John Schuhmacher: Er ist am 22.3.1944 in Theresienstadt verstorben.

 

Anna Schuhmacher wuchs in einer großen Familie mit acht Geschwistern in Detmold auf. 1902 verließ sie ihre Geburtsstadt und zog nach Budapest. Möglicherweise lernte sie dort ihren späteren Ehemann John Schuhmacher aus Wien kennen, mit dem sie später in Prag lebte und somit in einem der Zentren des Exils. Beide wurden in Prag als politische Gegner des nationalsozialistischen Regimes verhaftet.

Anna Schuhmacher wurde am 2. Februar 1944 in Prag von der Gestapo wegen politischen Widerstands festgenommen und am 2. Mai 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Dort wurde sie laut Hollerith-Vorkarte1 als sog. Schutzhäftling mit der Nummer 37629 registriert und sollte als Handstrickerin eingesetzt werden. Ihr Mann John war bereits am 22. März 1944 als politischer Häftling in Theresienstadt, in der Kleinen Festung umgekommen. 1948 wurde er vom Landesgericht Wien mit 22. März 1944 für tot erklärt.

Auf der Häftlingskarte für Anna Schuhmacher wurde als ihr "Abgangsdatum" der 17. Oktober 1944 vermerkt. 1947 wurde sie vom Landesgericht Wien für tot erklärt und ausgesprochen, dass sie den 8. Mai 1945 nicht überlebt hat.

1 Ab Sommer/Herbst 1944 sollten alle KZ-Häftlinge durch das System der Hollerith-Vorkarten zentral erfasst werden. Das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) wollte so den Arbeitseinsatz der Gefangenen planen. In den einzelnen Konzentrationslagern mussten die Vorkarten identisch ausgefüllt werden.

   

QUELLEN: LAV NRW OWL P 3/4, StdA DT MK; Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück; Wiener Stadt- und Landesarchiv; Nationalarchiv Prag; www.ushmm.org; Arolsen Archives

 

 

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DOKUMENTE

 

Dokument 1

Meldekarte für Familie Gruner in Detmold (StdA DT MK)

 

Dokument 2

Meldekarte für Anna Gruner in Detmold (StdA DT MK)

 

Dokument 3

Meldekarte für John und Anna Schuhmacher in Prag (Nationalarchiv Prag, NA-f-PŘ-EO-Schuhmacher)

16.06.1863 in Küstrin - 04.09.1942 im Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt

Religionszu­gehörigkeit: jüdisch
Ehemann: Theodor Nathan Steinheim
Kinder: Josef Kurt Steinheim (Schauspieler, 20.12.1889 in Hainichen - 29.01.1918, gefallen)
Hanna Gretchen (später: Grace) Stern, geb. Steinheim (Büroangestellte, 12.02.1891 in Freiberg - 05.02.1977 in Long Island, USA)
Erich Albert Steinheim (Kaufmann, geb. 24.04.1892 in Freiberg)
Erna Else Treitel, geb. Steinheim (geb. 23.06.1894 in Lage)
Martin Steinheim (Dekorateur, geb. 10.09.1895 in Detmold),

 

Wohnorte: Küstrin
1890 Hainichen, Neumarkt (früher Hainichen Nr. 420)
18.08.1890 Freiberg, Fischerstr. 8
03.08.1892 Stettin
03.10.1894 Detmold, Lagesche Str. 36 bei Baumeister
Frankfurt/Main:
22.09.1896 Frankfurt/Main, Kronprinzenstr. 38 aus Essen
29.08.1897 aus Detmold zurück
01.10.1899 Kronprinzenstr. 28
01.04.1904 Scharnhorststr. 12
23.03.1909 Ruprechtsr. 6
08.04.1932 Hanauer Landstr. 25
[1935] Leerbachstr. 104
04.01.1936 Bornwiesenweg 53
18.02.1939 Unterweg 20
07.11.1939 Wöhlerstr. 13
Bornwiesenweg 12

 

Über Therese Moseskas Lebensumstände vor ihrer Hochzeit ist aufgrund der Quellenlage nur sehr wenig zu ermitteln. Am 18. März 1889 heiratete sie Theodor Steinheim aus Heiden bei Lage und hatte mit ihm acht Kinder. Die weitaus längste Zeit verbrachte die Familie, bedingt durch die beruflichen Tätigkeiten des Ehemanns und Vaters, in Frankfurt am Main. Mit Detmold verband sie zwei Jahre. Hier wurde auch ihr Sohn Martin geboren.

Im Alter von 79 Jahren wurde Therese Steinheim zusammen mit ihrem Mann am 18. August 1942 aus einem Frankfurter jüdischen Altersheim in der Wöhlerstraße 13 mit dem Transport XII/1 Nr. 867 nach Theresienstadt deportiert. Es handelte sich um die siebte Deportation aus Frankfurt, für die nun ganze Heime aufgelöst und damit große Gebäude frei wurden. Die alten und oftmals gebrechlichen Menschen mussten sich nicht wie zuvor üblich in der Frankfurter Großmarkthalle für den Transport einfinden, sondern wurden zunächst in dem großen Altersheim im Rechneigraben 18-20 gesammelt. Von dort wurden sie mit Lastwagen zum Ostflügel der Großmarkthalle und zu dem dahinter liegenden Gleis 40 gebracht, von dem der Personenzug nach Theresienstadt abfuhr. Insgesamt umfasste dieser Transport 1.020 Menschen. Elf von ihnen überlebten den Transport aufgrund der katastrophalen Bedingungen nicht. Laut einem Zeitzeugenbericht erreichte der Zug einen Tag später bei großer Hitze Theresienstadt. Die Frauen mussten noch eine zusätzliche Qual über sich ergehen lassen, indem sie gezwungen wurden, sich nackt auszuziehen und sich den Blicken der SS-Männer auszusetzen. Die von jenem Zeitzeugen angestellte Vermutung, die Peiniger seien möglicherweise auf der Suche nach Gold und Silber gewesen, galt offenbar nur für die jüdischen Frauen.1 Nur siebzehn der mehr als eintausend Deportierten erlebten die Befreiung.

Therese Steinheim starb bereits kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Theresienstadt am 4. September 1942. Die Todesursache wurde laut Todesfallanzeige des dortigen Ältestenrates mit Altersschwäche und Herzlähmung angegeben. Ihren Mann Theodor überlebte sie um drei Tage.

Ihr Sohn Erich wurde als sog. Aktionsjude am 12. November 1938 in Buchenwald eingeliefert (Häftlingsnummer 26081) und am 20. November 1938 dort entlassen. Am 18. Februar 1945 wurde er mit dem Transport XII/10 Nr. 164 ebenfalls nach Theresienstadt deportiert. Er überlebte und kehrte im Juni 1945 zunächst nach Frankfurt am Main zurück. Erich Steinheim emigrierte im Dezember 1946 in die USA.

Martin Steinheim wurde wie sein Bruder Erich - wie es offiziell hieß - bei der "Judenaktion vom 10.11.38" von Frankfurt nach Buchenwald (Häftlings-Nr. 29290) verschleppt, wo er erst am 6. Januar 1939 entlassen wurde. Er überlebte Verfolgung und Völkermord.

Seine Schwester Gretchen, später Grace, war verheiratet mit Jakob Stern (geb. 28.01.1886) und emigrierte ebenfalls in die USA. Dort starb sie 1977.

1 "Große Hitze. Gestern zogen die Nazis den Frauen, die aus Deutschland kamen, die Kleider aus und besahen sie nackt. Sie wollten vielleicht Gold oder Silber finden." In: Redlich (1995)

   

QUELLEN: StdA DT MK; Institut für Stadtgeschichte Frankfurt/Main; StdA Hainichen; StdA Freiberg; StdA Essen; www.holocaust.cz; Nationalarchiv Prag; Institut Theresienstädter Initiative; Arolsen Archives

LITERATUR: Hankemeier (2003), Kingreen (1999) und (2016)

 

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DOKUMENTE

 

Dokument 1

Todesfallanzeige für Therese Steinheim, Theresienstadt 04.09.1942 (Nationalarchiv Prag HBMa, Inv. Nr. 2596 - digitalisiert von der Theresienstadt Initiative Prag)

 

Dokument 2

Inhaftierungsbescheinigung für Therese Steinheim durch das Internationale Rote Kreuz, 2. Mai 1958 (Auszug aus der Korrespondenzakte, 6.3.3.2-104398160-ITS Digital Archive, Arolsen Archives)

Dokument 3

Sterbeurkunde für Therese Steinheim, Arolsen 28. Oktober 1958 (Auszug aus der Korrespondenzakte, 6.3.3.2-104398158-ITS Digital Archive, Arolsen Archives)

Rufname: Mally

04.11.1902 in Westheim

Religionszu­gehörigkeit: jüdisch
Eltern: Friederika (Rika) Stamm, geb. Eichwald (11.03.1865 in Westheim - 30.01.1943 in Theresienstadt), Salomon (Sally) Stamm (23.06.1864 in Adorf/Waldeck - 24.05.1937 in Westheim)
Brüder: Max Stamm (geb. 29.09.1892 in Westheim)
Paul Stamm (04.09.1893 in Westheim - 12.07.1944 in Theresienstadt)
Joseph Stamm (geb. 06.08.1895 in Westheim)
Carl Stamm (geb. 31.08.1897 in Westheim)
Siegfried Stamm (geb. 24.09.1899 in Westheim)
Wilhelm Stamm (geb. 29.11.1904 in Westheim)
Bruno Stamm (geb. 05.06.1909 in Westheim)
Ehemann: Julius Stein (geb. 29.12.1887 in Gescher)
Schwägerin: Anna Schaap, geb. Stein
Kinder: Ulrich Samuel Stein (geb. 11.11.1929 in Gescher)
Wolfgang Stein (geb. 11.08.1935 in Gescher)
Eleonore (auch: Elionore) gen. Libe Stein (geb. 01.04.1939 in Gescher)
Stand: Lehrfräulein (lt. Detmolder Meldekartei), Haustochter

 

Wohnorte: Westheim Nr. 67 (heute: Kasseler Str. 34)
Gescher, Armlandstr. 1
01.05.1920 Detmold, Emilienstr. 12 bei Michaelis[-Jena]
17.11.1920 nach Westheim abgemeldet

 

Amalie Stamm war die einzige Tochter von Rika und Sally Stamm und hatte noch sieben Brüder. Die Familie lebte in Westheim und betrieb dort eine Getreide-, Futter- und Düngemittelhandlung. Während zwei ihrer Brüder eine akademische Laufbahn einschlugen, vier als Kaufleute arbeiteten und ihr Bruder Bruno Metzger wurde, arbeitete Amalie Stamm als Haustochter. In ihrer Zeit in Detmold lebte sie als "Lehrfräulein" im Pensionat der Witwe Emilie Michaelis-Jena in der Emilienstraße 12. Wie ihre spätere Schwägerin Anna Schaap (Sie war eine der Schwestern ihres Mannes Julius Stein und war im Detmolder Pensionat in der Moltkestraße 28 bei Thirza Jacobsberg untergebracht.), wählte auch sie ein solches Pensionat als Wohn- und Ausbildungsort. In derlei Institutionen sollten jungen Frauen nicht nur gesellschaftliche Umgangsformen, sondern auch hauswirtschaftliche Fertigkeiten vermittelt werden. Manche der in vielen Orten ansässigen Institute versprachen u. a. auch eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Ausbildung, die ein kulturelles Leben ebenso mit einschloss wie Unterweisungen in Haushaltsführung.1

Amalie Stamm heiratete am 10. Oktober 1928 den Kaufmann Julius Stein aus Gescher, der dort ein Textilgeschäft betrieb. Mit ihm hatte sie drei Kinder. In ihrem Haus in der Armlandstraße befand sich eine Betstube, die während der Ausschreitungen des Novemberpogroms 1938 ebenso verwüstet wurde wie ihr Wohn- und Geschäftshaus. Julius Stein wurde mit weiteren jüdischen Bürgern aus Gescher im örtlichen Gefängnis in sog. Schutzhaft genommen. Drangsalierungen und gewalttätige Übergriffe, Hausdurchsuchungen, Schikane und Sachbeschädigungen bestimmten den Alltag in zunehmendem Maße. Anfang 1939 hatte die Familie Stein noch alle Vorbereitungen für eine Emigration in die USA getroffen, die sie aber - möglicherweise auch durch die Geburt der Tochter - nicht in die Tat umsetzen konnten. Julius Stein musste Zwangsarbeit leisten. Am 10. Dezember 1941 wurden alle jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus Gescher zunächst nach Münster gebracht, um von dort in das Ghetto Riga deportiert zu werden. Weitere Informationen zur Schicksalsklärung der Familie Stein sind nicht dokumentiert.

Amalie Stein, ihr Mann Julius und ihre Kinder Ulrich, Wolfgang und Libe wurden 1952 vom Amtsgericht Coesfeld für tot erklärt. Als amtliches Todesdatum wurde der 8. Mai 1945 festgesetzt.

 

Amalie Steins verwitweter Bruder Max wurde mit seinem Sohn Werner Anfang 1943 nach Auschwitz deportiert. Ihr ebenfalls verwitweter Bruder Paul wurde zusammen mit ihrer Mutter Rika im August 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo beide umkamen. Seine Töchter wurden vermutlich in das Ghetto Zamosc verschleppt. Ihr Ihr Bruder Bruno wurde während des Novemberpogroms nach Buchenwald verschleppt, wo er bis zum 24. Dezember 1938 in Haft war, und wurde am 28. März 1942 nach Warschau deportiert.

Joseph Stamm gelang 1937 mit seiner Familie die Flucht in die USA, wo sein Bruder Karl bereits lebte. Siegfried Stamm emigrierte ebenfalls in die USA. Wilhelm Stamm gelang die Flucht nach Südafrika, nachdem er vermutlich zuvor eine zeitlang in der Sowjetunion und in Holland gelebt hatte.

1 Bis 1905 führte Emma Leeser ebenfalls ein Pensionat in Detmold, verzog dann aber nach Köln.

   

QUELLEN: StdA DT MK; StdA Marsberg; StdA Gescher; Yad Vashem Foto s.: https://photos.yadvashem.org/photo-details.html?language=en&item_id=14105375&ind=0 ; Arolsen Archives

LITERATUR: Blanke und Stolz (2007); Lange (2018); Wiemold (2015); Wissen (1989)

 

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DOKUMENTE

 

Dokument 1

Meldekarte für Amalie Stamm in Detmold (StdA DT MK)

 

Dokument 2

Deportationsliste für den Transport vom 10.12.1941 von Münster nach Riga (StdA Münster Stadtregistratur Fach 36 Nr. 18f.)

geb. 08.04.1922 in Detmold

Religionszu­gehörigkeit: keine Angaben
Eltern: Maria Elisabeth Stephan, geb. Klein und August Johannes Stephan

 

Wohnorte: Detmold, Lagesche Str. (Frauenheim)
Hagen-Haspe Nr. 28
Sept. 1927 Horn-Bad Meinberg (Kinderheim)

 

Hans Stephan wurde im Frauenheim in Detmold geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre in Hagen-Haspe. Im September 1927 wurde er für wenige Tage im Kinderheim in Bad Meinberg untergebracht, bevor er am 20. Oktober 1927 im Alter von fünf Jahren aufgrund von mentalen Einschränkungen im Wittekindshof aufgenommen wurde. Diese Einrichtung war 1887 als "Asyl für evangelische Blöde in Westfalen" in Volmerdingsen, Bad Oeynhausen gegründet worden. Hier wurden die Eltern von Hans Stephan allerdings als "unbekannt" angegeben. Im Dezember 1932 wurde die Notwendigkeit einer Anstaltspflege für ihn dokumentiert, da "eine Förderung [...] des Kindes", wie es hieß, "nur durch Heimerziehung möglich" sei. Am 23. Juli 1937 wurde Hans Stephan aus der Schule entlassen und fortan in der Arbeitstherapie eingesetzt, wo er Stations- und Gartenarbeiten leistete. 1938 war er in der Korbmacherei beschäftigt. Immer wieder wurden ihm Diebstähle angelastet.

Am 30. November 1941 wurde Hans Stephan mit weiteren 22 Patienten in die Provinzialheilanstalt Warstein verlegt. Laut seiner Patientenakte wurde nur wenige Wochen nach seiner Verlegung, am 8. Januar 1942, eine "verstärkte Lungenzeichnung" festgestellt. Die zeitlich größer werdenden Abstände der Eintragungen verdeutlichen eindrücklich die Vernachlässigung der Patienten. So wurde erst sieben Monate später, am 12. August 1942, angegeben, dass Hans Stephan bereits seit einigen Wochen Bettruhe verordnet worden war, "um", wie vermerkt wurde, "die ewigen Unbotmäßigkeiten und Unruhe des Patienten zu steuern". Das Krankenbett verließ Hans Stephan offenbar nicht mehr. Wiederum ein halbes Jahr später findet sich in seiner Patientenakte ein Eintrag vom 15. Februar 1943, nach dem sich sein geistiger und körperlicher Zustand verschlechtert hatte und er "noch immer zu Bett" sei. Sein Zustand blieb unverändert, bis am 4. Januar 1944 vermerkt wurde, dass sich der Patient "arg verschlechterte" und sich ein "langsamer Verfall" bemerkbar machte. Eine Medikation erfolgte offenbar nicht, zumindest finden sich keinerlei Angaben dazu. Die Lungenerkrankung von Hans Stephan verstärkte sich infolge ausbleibender medizinischer Versorgung und weiterer Vernachlässigung deutlich. Erst am 15. Oktober 1944 findet sich der nächste Eintrag in seiner Akte, nach dem der Patient "körperlich immer mehr zurück gehe". Ständiges Fieber, Husten und Herzschwäche wurden wiederum erst vier Monate später dokumentiert. Am 7. März 1945 starb Hans Stephan nach jahrelanger Mangelernährung, ohne medikamentöse Versorgung und durch systematische Vernachlässigung. Als offizielle Todesursache wurde Lungen- und Drüsentuberkulose angegeben.

   

QUELLEN: LAV NRW OWL P 3|4 Nr. 935; LWL-Archivamt für Westfalen Best. 660; Archiv der Diakonischen Stiftung Wittekindshof

LITERATUR: Michael Spehr (2020), Bernd Walter (1996)

 

 

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