geb. 06.01.1906, auch: 21.01.1907 in Rozniatow (Galizien, heute: Roschnjatiw/Westukraine)
Religionszugehörigkeit: Eltern:
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jüdisch
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Ehemann: | Josef Leib (Leo) Vogelhut |
Beruf: | Schneiderin |
Wohnorte: | Detmold: 10.10.1931 Krumme Str. 27 31.12.1938 Gartenstr. 6 bei Leffmann "ohne Abmeldung verzogen" Magdeburg, Tischlerkrugstr. 21 |
Das Ehepaar Vogelhut gehörte zu den wenigen in Detmold lebenden sogenannten Ostjuden. Anna (Chana) genannt Soltys-Gottlieb stammte aus Galizien, das bis 1918 zu Österreich und nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zu Polen gehörte. Ihr Geburtsname wird mit Bleicher angegeben, was auf eine nichteheliche Geburt (s. auch ihre Schwester Hedwig Gutwer) hindeuten könnte. Ihre Familie war seit 1908 in Detmold ansässig, nachdem sie vor Not, Judenfeinschaft und aus Angst vor Pogromen aus Galizien geflohen waren. Wiederholt bemühte sich 1919 ihr Vater um Einbürgerung. Seine Gesuche wurde jedoch sämtlich abgelehnt, was den Status der sogenannten Ostausländer und Juden dokumentiert, die sich mit zahlreichen Problemen und Vorurteilen konfrontiert sahen. Die Familie Soltys-Gottlieb wurde letztlich 1923 in Detmold eingebürgert. Dies wurde jedoch für Ita Soltys-Gottlieb und die noch bei ihr lebenden Töchter Bertha und Frieda 1934 widerrufen. Ihre anderen Töchter hatten durch Heirat die Nationalität des jeweiligen Ehepartners erhalten oder lebten zu diesem Zeitpunkt bereits im Ausland.
Anna Soltys-Gottlieb erlernte den Beruf der Schneiderin und heiratete Josef Leib (Leo) Vogelhut am 1. September 1931. Mit ihrer Heirat erhielt sie die polnische Staatsbürgerschaft ihres Mannes. Im selben Jahr gründete ihr Mann ein Bekleidungsgeschäft in der Krummen Straße 27, das am 16. September 1931 unter dem Firmennamen "Detmolder Bekleidungshaus" (An- und Verkauf von Altwaren) eröffnet wurde. Auch Schuhe gehörten in geringem Umfang zu dem Geschäftsangebot. In diesem Haus befand sich auch ihre Wohnung. Anna (Chana) Vogelhut versorgte den Haushalt und arbeitete mit im Geschäft.
Bei der als "Polenaktion" bezeichneten Abschiebung der im Ausland lebenden polnischen Staatsangehörigen am 28. Oktober 1938 wurden Josef Vogelhut, seine Schwester Necha sowie Regina Bonom-Horowitz über Hannover mit der Reichsbahn zur polnischen Grenze deportiert und in das Flüchtlingslager Zbaszyn eingewiesen. Die Meldeunterlagen der Stadt vermerken bei Josef Vogelhut: "Ausgewiesen und nicht abgemeldet; befindet sich im Sammellager Zbaszyn in Polen." Eine Bleistiftnotiz vom 30. Dezember 1938 wurde der Karteikarte hinzugefügt: "Ehefrau wohnt Gartenstr. 6. Festgestellt durch Schmitt." Regina Bonom-Horowitz und Josef Vogelhut beantragten die Wiedereinreise, um ihre Geschäfte zu liquidieren und ihre wirtschaftlichen Verhältnisse regeln zu können. Ihr Anliegen wurde vom Landespolizeiführer wenige Tage nach dem November-Pogrom abgelehnt.
Während des November-Pogroms wurden die Fensterscheiben eingeschlagen, die Geschäftsräume verwüstet, die Einrichtung zerstört und die Waren auf die Straße geworfen. Die Wohnung sei laut Zeugenaussage eines Hausbewohners durch dessen Intervention verschont geblieben. Am 11. November 1938 wurde das Geschäft, das von Anna Vogelhut nach der Ausweisung ihres Mannes allein betrieben wurde, durch sie abgemeldet. Anna Vogelhut wurde in das sogenannte Judenhaus in der Gartenstraße 6 eingewiesen.
Aus Detmold zog sie zu der Mutters ihres Mannes nach Magdeburg. Im Eingangsbuch des dortigen Polizeigefängnisses findet sich der Vermerk vom 27. Oktober 1938 "Abschiebung nach Polen". Anlässlich einer Volkszählung am 17. Mai 1939 wurde das Ehepaar Vogelhut in Magdeburg registriert. Anna Vogelhut musste Deutschland am 19. Juli 1939 endgültig verlassen. Eine letzte erhaltene Postkarte schrieb sie an ihren Bruder am 1. Oktober 1941 aus Bochnia in Polen. Dies war nicht nur der Geburtsort ihres Mannes. In diesem Schtetl lebten 1939 noch 3000 Jüdinnen und Juden. Im März 1941 hatten hier die deutschen Besatzer ein Ghetto errichtet, in dem bis zur Liquidierung im September 1943 insgesamt etwa 15.000 Menschen zu leben gezwungen wurden. Die Postkarte, die Anna Vogelhut über Lissabon an ihren Bruder Chaim Hermann Soltes (!) in die USA sandte, verdeutlicht ihre schwierige Situation insgesamt, ihre Not, Verzweiflung und die Sorge auch um ihre Schwester Hedwig und deren Familie, die ihr Bruder in den USA nicht aufnehmen konnte. Ihr hier geäußerte Wunsch nach Wiedervereinigung der Familien und ihnen nahestehenden Menschen erscheint programmatisch für die in die Flucht Getriebenen und Verfolgten: "Der Allmächtige soll uns jeder wieder mit unseren Lieben zusammenführen, damit unser Herz nicht so betrübt ist."
Das weitere Schicksal von Anna Vogelhut bleibt ungeklärt. Es ist unbekannt, ob Anna Vogelhut als Bewohnerin des Ghettos den Liquidations-Aktionen vom August und November 1942 (Aktionen I und II) mit Massenexektionen und Deportationen zum Opfer fiel. Oder ob sie zu den Verfolgten gehörte, die durch die endgültige Liquidierung des Ghettos im September 1943, wiederum mit Erschießungen und Deportationen auch nach Auschwitz-Birkenau oder Belzec, um ihr Leben gebracht wurde.
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Anna Vogelhut wurde für tot erklärt. Als amtliches Todesdatum wurde der 8. Mai 1945 festgesetzt.
QUELLEN: StdA DT MK; LAV NRW OWL D 1 Nr. 6141, D 20 A Nr. 10540, 10547, D 21 B Nr. 1112, D 23 Detmold Nr. 5912, D 103 Nr. 785, 836, 876, 877, L 80 I e Gr. IV Tit. 3 Nr. 32 Bd. 5, L 80 Ie Gr. IV Tit. 3 Nr. 41 a, L 80 II a Gr. XVII Tit. 1 Nr. 3 Anl. ; KAL K2 Detmold/Lemgo BEG Nr. 836; Waltraut Zachuber (Magdeburg)
WEITERE QUELLEN LZ, 07.07.1935: Anzeige des Josef Vogelhut, "Spottbillig kaufen Sie Anzüge etc."; zu Bochnia s. www.sztetl.org.pl
LITERATUR: van Faassen/Hartmann (1991)
DOKUMENTE
Einwohnermeldekarte von Josef und Anna Vogelhut (StdA DT MK)
Polizeiliche Anmeldung und Notiz von Anna Vogelhut (StdA DT MK)
Mitteilung von Anna Vogelhut an den Bürgermeister der Stadt Detmold, 1939
Postkarte von Chana (Anna) Vogelhut, 1.10.1941 (LAV NRW OWL D1 BEG Nr. 1075)
Eidesstatttliche Versicherung F. Tichauer (LAV NRW OWL D1 BEG Nr. 1075)